Der Vulkanisator
Penthouse Interview
Der Vulkanisator
DER KÜNSTLER WOLFGANG WENDKER SPIELT MIT DEM FEUER DER VULKANISATOR
„They don‘t make artists like him any more!“
Das sagte Glenn D. Lowry, Direktor des New Yorker Museum of Modern Arts, und er spielte damit auf Joseph Beuys an.
Doch einer wie Beuys lebt noch, ebenso verquer und gescheit, tiefgründig und unaufhaltsam auch bei den verwegensten Kunstprojekten: Wolfgang Wendker -
er hat mit Beuys bei der Gründung der Grünen zusammengearbeitet.
Weisse Rosen oder ein paar Eulen nach Athen tragen kann jeder Stammtischbruder.
Aber den Präsidenten der Vulkaninsel Lanzarote von der Notwendigkeit einer Monumentalskulptur aus Beton ausgerechnet in Form eines Vulkans zu überzeugen, das lässt selbst jene vor Neid erblassen,
die bereits Kühlschränke an Eskimos verkauft haben.
IGADiM lautet der Künstlername dieses ebenso hartnäckigen wie bekennend positiv Verrückten, der einst gemeinsam mit seinem Mentor Joseph Beuys zu den Gründungsmitgliedern der heutigen Grünen -
Partei gehörte.
IGADiM hat einen Hang zu geheimnisumwitterter Gigantomanie.
„Kunstwerk Erde - con el volcan azul - Skulptur für eine Insel“ nennt er die Vollendung eines Werks auf Lanzarote, das 1991 zum Auftakt der Ruhrfestspiele als erster Teil einer nicht vorher
geplanten Trilogie begann.
Geschlagene fünf Tage und Nächte hielt sich der Künstler in der Stahlkapsel seiner unterirdischen Skulptur „Luminata Alterna“ auf, sendete Signale über Lichtschienen, die in eine Art monströsrunden Gullydeckel eingebaut waren.
Mit Hilfe einer an der Künstlerbrust befestigten Elektrode blinkte das Licht analog mit seinem Herzschlag auf. Dazu schickten fünf Strahler nebst Reflektoren weitere von IGADiM codierte
Botschaften 500 Meter hoch ins Himmelsdunkel des Ruhrgebiets.
Noch im gleichen Jahr entwickelten IGADiM und sein argentinischer Kollege Eduardo Sanguinetti, vormals bewährter Tarzan - Darsteller der argentinischen Filmproduktion, eine kontinentübergreifende Gemeinschaftsaktion.
>> Ein mit Blattgold ausgekleideter Vulkan, in dem sich Touristen erleuchtet fühlen - ganz ohne Sonne oder Sangria.
IGADiM und Sanguinetti entfachen in Recklinghausen und Buenos Aires zwei Feuer, die exakt aufeinander gerichtet drei Wochen Tag und Nacht brennen.
Zwischenzeitlich nimmt in Hamburg das Containerschiff „ MS EUROPA EXPRESS“ eine IGADiM - Kiste mit Skulpturen an Bord. Käpt‘n Peter Kröplin übergibt diese Fracht auf halbem Weg zwischen beiden Feuern dem hier 3 700 Meter tiefen Atlantik - verabredungsgemäss laut Seekarte bei Breite 30 Grad, 8 Minuten Nord und Länge 29 Grad, 11 Minuten West, 750 Seemeilen südwestlich der Kapverdischen Inseln.
Im gleichen Moment löschen die Künstler im Telefonkontakt miteinander und mit dem Kapitän ihre Feuer.
Eine Idee, versunken wie Atlantis ?
Ausgeführt und abgetaucht, ohne sichtbaren Denkanstoss für die Menschheit ?
Ein Vulkan, der wäre der Krönung eines Gesamtkonzepts wahrlich würdig !
Oberwelt und Unterwelt, Licht und Schatten in einem.
Erbaut in einem artgerechten Vulkanbiotop: auf der Kanareninsel Lanzarote.
Inselpräsident Enrique Perez Parilla, dessen oberster Kunstkurator Ildefonso Aguilar de la Rua - langjähriger und mehr im
Hintergrund tätiger Partner des 1992 verstorbenen Inselgestalters und Naturbewahrers Cesar Manrique - und auch el Senor Alcalde Marcos Hernandez als Verantwortlicher der Region Tinajo sind sich
einig : IGADiM wird eine runde, blaue Betonskulptur schaffen, 11 Meter hoch, oben mit einem auf 12 Trägern aufgelegten Ring, begehbar durch vier Eingänge gemäss der Windrose, Durchmesser am Boden
42 Meter. Betritt der staunende Tourist den eigentlichen Vulkantrichter, wähnt er sich in El Dorado.
Alles rundum mit Blattgold überzogen, das im Einklang mit den Kräften der Natur die bemerkenswertesten Lichtspiele und Reflektionen herauskitzelt.
Spontan möge sich der voll erwischte Tourist je nach Sonnen und Sangriastand freiwillig - unfreiwillig erleuchtet fühlen.
Doch zunächst muss er einen Kreis von insgesamt 144 roten Betonquadern durchschreiten, der sich mit einem Durchmesser von
72 Meter um den blauen Kegel legt.
Besagte „Ringsteine“ im Gewicht von jeweils zwei Tonnen, werden von fleissigen Händen aus aller Welt bereits seit 1994 gegossen.
IGADiM : „Die Zahl 144 ist für mich ein Symbol der Weltgemeinschaft“.
Und was wäre die ohne ihre allgegenwärtigen Schattenseiten ? Nun, wie jeder anständige Vulkan ist auch dieser grosse Blaue erst komplett mit Unterwelt, was durchaus doppelsinnig zu verstehen ist.
Sieben Meter unterirdischer Tiefe bergen ausser der Bauhütte den ominösen Raum „F18“.
Anlass : der Diebstahl von IGADiMs Filzanzug Nr.18, der 1970 von Joseph Beuys als Multiple in einer Auflage von 100 geschaffen wurde. Der Dieb, ein Galerist, ist überführt und abgeurteilt, „F18“
hingegen bleibt verschwunden.
Laut derzeitigem Stand der gerichtlichen Ermittlungen verlieren sich seine Spuren in den Grauzonen des Kunstgeschäft.
Würde er wieder aufgefunden, er fände als Symbol für ein naturtrübes Bermudadreieck zwischen Kunst, - Kuhhandel und schnellem Reibach in besagtem Extraraum seine endgültige Bleibe.
Ach so: Sie haben sich auch schon gefragt, wo der Künstlername IGADiM herkommt ?
Es handelt sich um eine Abkürzung für Wolfgang Wendkers Motto „IchGlaubeAnDieMenschen“.
Der Mann aus Haltern am See meint das nur teilweise ironisch. Als Joseph Beuys seinerzeit verkündete“Ich trete aus der Kunst aus“ antwortete IGADiM : „Ich trete da erst garnicht
ein“.
Mit freundlicher Genehmigung des Penthouse-Verlages, Ausgabe 11/2000
Text: Joachim Ludewig
Fotos: Peter Kallwitz